Eine große Anzahl von Verletzten oder Kranken wird als Massenanfall von Verletzten – kurz MANV – bezeichnet. Ein MANV ereignet sich durch Unglücke, Krisen oder Katastrophen wie terroristische Anschläge.
Krankenhäuser sind im Rahmen der Regelung zur Krankenhausalarmplanung per Gesetz verpflichtet, auf einen MANV vorbereitet zu sein. Auf Bundesebene wird dies im Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) geregelt. Die Bundesländer spezifizieren die Regelungen zur Krankenhausalarmplanung anschließend in den Landesgesetzen.
Ein MANV-Ereignis tritt meistens außerhalb des Krankenhauses auf. Die innerklinischen Abläufe und Strukturen bei einem MANV sind in einem Krankenhaus an die jeweiligen Rahmenbedingungen anzupassen. Ziel ist die optimale Vorbereitung auf eine zeitgleiche Einlieferung einer Vielzahl von Patientinnen und Patienten.
Direkt am Ereignisort führen die Rettungsersthelferinnen und Rettungsersthelfer zunächst die Sichtung und Notfallbehandlung durch, um anschließend den Notfalltransport in eine entsprechende Gesundheitseinrichtung einzuleiten. Vor Ort sind die Rettungsersthelferinnen und Rettungsersthelfer auf die persönliche Schutzausrüstung angewiesen. So muss zusätzlich zu den Einmalhandschuhen gegebenenfalls auch auf eine Schutzbrille und Schutzkleidung zurückgegriffen werden, wenn mit Verspritzen von oder Kontakt zu größeren Mengen Körperflüssigkeit (Blut, Sekret) zu rechnen ist.
Bei einer akuten Gefährdung durch ABC-Gefahren (atomare, biologische, chemische Gefahren), Rauchgase oder Sprengvorrichtungen wird die Sichtung der Verletzten erst in einem sicheren Bereich durchgeführt. Sollte eine Dekontamination von Einsatzkräften erforderlich sein, ist das Vorgehen in der Feuerwehr-Dienstvorschrift 500 festgelegt. Dazu werden spezielle Fahrzeuge und Geräte genutzt, die auch in schwierigem Terrain und komplexen Bergungssituationen und -erfordernissen zum Einsatz kommen. Bei einem MANV erfolgt die Dekontamination häufig bereits direkt am Unglücksort oder am Krankenhaus, jedoch noch vor der eigentlichen Einlieferung.
Die Verletzten werden zunächst einer Triage unterzogen. Als Triage wird ein Verfahren bezeichnet, bei dem die Erkrankten/Verletzten in medizinischen Kategorien – nach Priorität der Behandlung – eingestuft werden. Jeder Kategorie ist eine Farbe zugeteilt und eine entsprechende Beschreibung zugeordnet. Der eingesetzte Algorithmus zur Triage orientiert sich häufig i. d. R. an den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Notfallmedizin der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), dem amerikanischen START-Konzept „Simple Triage and Rapid Treatment“ und den Vorgaben des „Advanced Trauma Life Support“ (ATLS®).
Wie läuft eine Sichtung bei einem MANV ab?
Nach der DIN 13050:2015 ist die Sichtung „eine ärztliche Beurteilung und Entscheidung über die Priorität der medizinischen Versorgung von Patienten hinsichtlich Art und Umfang der Behandlung sowie Zeitpunkt, Art und Ziel des Transportes“.
Über die Leitstelle wird, je nach Schwere des MANV, die leitende Notärztin oder der leitende Notarzt und das entsprechende Rettungspersonal angefordert. Zudem informiert die Leitstelle die umliegenden Krankenhäuser. Neben der leitenden Notärztin bzw. dem leitenden Notarzt und den weiteren Notärztinnen und Notärzten wird ausreichend Rettungsdienstpersonal eingesetzt, um die Vielzahl der Patientinnen und Patienten zu sichten und entsprechend der notwendigen medizinischen Versorgung zu priorisieren. Die Sichtung erfolgt durch die Notärztinnen und Notärzte und speziell ausgebildete Rettungskräfte. Die Aufgabe ist, Leichtverletzte von Schwer- und Schwerstverletzten zu unterscheiden und bei Bedarf sofortige Notfallmaßnahmen einzuleiten, um eine optimale Versorgung in jeglicher Situation sicherzustellen. Nach der Sichtung werden die Patientinnen und Patienten, je nach Dringlichkeit, in die Krankenhäuser befördert. Am Ort des MANV sind alle Kräfte der Einsatzleitung unterstellt. Im Krankenhaus tritt das jeweilige und individuelle Notfallkonzept in Kraft und die Patientinnen und Patienten werden, je nach Ankunft im Krankenhaus und Schwere der Verletzungen, behandelt. Der Umgang mit einem MANV sollte durch regelmäßige dienst- und ortsübergreifende Übungen geprobt werden.
Die gehfähigen Verletzten werden in einem Areal für Leichtverletzte behandelt. Verletzte mit kritischen Vitalwerten werden anhand der ABCDE-Regelung innerhalb von 30 bis 90 Sekunden priorisiert und entsprechend schnellstmöglich behandelt und in ein Krankenhaus befördert.
- Airway (Atemwegssicherung)
- Breathing (Beatmung/Belüftung)
- Circulation (Kreislauf)
- Disability (Differenzierende Maßnahmen, Neurologie)
- Exposure/Environment (Entkleidung & Wärmeerhalt)
Die Einsatzkräfte sind bei einem MANV durch physisch und psychisch herausfordernde Situationen extremem Stress ausgesetzt. Bei enormem Zeitdruck sind sie in der Verantwortung für Leben und Tod einer Vielzahl anderer Menschen. Bei der internen Kommunikation müssen Faktoren der eigenen Befindlichkeit von den Einsatzkräften ausgesprochen werden, besonders bei physischer Beeinträchtigung, Informations- oder Arbeitsüberlastung oder bei Bedrohungssituationen. Wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass Einsatzkräfte z. B. wegen Übermüdung und/oder durch die psychischen und physischen Belastungen nicht mehr arbeits- oder entscheidungsfähig sind, sollte zeitnah – im Rahmen der Möglichkeiten – eine Ablösung erfolgen. Im Nachgang eines MANV sollte für die beteiligten Einsatzkräfte eine angemessene, professionelle psychologische Betreuung angeboten bzw. sichergestellt werden.
Die BGW hilft, das Erlebte zu verkraften. Wenden Sie sich für Unterstützung und Hilfe an die BGW-Bezirksverwaltung in Ihrer Nähe.
Hier finden Sie weitere Informationen.
Die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen unterstützt Betriebe zum Aufbau eines Notfallmanagements für belastende Extremsituationen am Arbeitsplatz und steht bei der Umsetzung beratend und ggf. unterstützend zur Verfügung.
Notfallmanagement nach psychisch belastenden Extremsituationen am Arbeitsplatz
Literaturverzeichnis
- Beck, P.D., Bayeff-Filloff, M., Kanz, K.G., Sauerland, S. (2005). Algorithmus für den Massenanfall von Verletzten an der Unfallstelle. Notfall & Rettungsmedizin, 8, 466-473.
- Flake, F., Hoffmann, B. (2016). Leitfaden Rettungsdienst. Urban & Fischer im Elsevier Verlag, München und Jena.
- Greunig, D., Jürgens, C., Opermann, S. (2013). Dekontamination vor dem Krankenhaus. Handlungskonzepte für den Massenanfall von CRBN-Verletzten. Notfall und Rettungsmedizin, 16, 175-187.
- Jäger, T., Daun, A., Freudenberg, D. (2016). Politisches Krisenmanagement. Wissen, Wahrnehmung, Kommunikation. Springer, Wiesbaden
- Wuttig, B. (2014). Koordinator im Chaos - Notfallmanagement bei Massenanfall von Verletzten. Thieme via medici - informieren. Notfallmedizin.